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NATO Oberbefehlshaber denkt, er verfüge über ein Hoheitsgebiet
18.08.2014 20:34

In seinem  Interview mit der WELT  plaudert NATO Oberbefehlshaber Philip Breedlove über "Grüne Männchen" (auf fremdes Staatsgebiet einsickernde bewaffnete Kräfte in Uniform ohne Hoheitsabzeichen) und seine Interpretation des Begriffs "Angriff". Es offenbart sich hier ein politisches Selbstbild der NATO, das höchst alarmierend ist.

-> HIER die Hörfassung

Bevor hier auf das Interview näher eingegangen wird, sollen zunächst wichtige Grundsätze aus dem Nordatlantikvertrag wiedergegeben werden, zwecks besseren Verständnisses der Ungeheuerlichkeiten, die in einigen Aussagen des Oberbefehlshabers liegen:

FRIEDEN

Präambel des Nordatlantikvertrages:

  • "Die Parteien dieses Vertrages bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und allen Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person, und der Herrschaft des Rechts beruhen zu gewährleisten. Sie sind bestrebt die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nordatlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen."

Und Grundsatzartikel I des Nordatlantikvertrages (i.F. "NAV") :

  • "Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist."

Wenden wir uns nun dem Interview mit Oberbefehlshaber Philip Breedlove zu: Dieser scheint sowohl die Präambel als auch den Grundsatzartikel des Noratlantikvertrages nicht zu kennen, wenn er seinem Interviewpartner sagt:

  • "Ich möchte an eines klar erinnern: Wenn die Nato ausländische Kräfte in ihr Hoheitsgebiet einsickern sieht und wenn wir dieses Vorgehen einer Aggressornation nachweisen können – dann ist das Artikel fünf. Dann tritt der Bündnisfall ein. Das bedeutet eine militärische Antwort auf die Aktionen dieses Aggressors. Deshalb müssen wir die internen nationalen Fähigkeiten ausbauen, ein solches Vorgehen zu identifizieren und damit umzugehen."

Zunächst möge Breedlove sich auf die Präambel und den ersten Artikel des Nordatlantikvertrages besinnen, in deren Licht alle Folgeartikel auszulegen sind: Friedliche Regelung von Streitfällen. Oder anders herum, damit es auch ein kommandostrukturgestörter Befehlshaber versteht: Militärische Antwort erst im äußersten Fall. Das bloße Einsickern von Kräften in ein Land ist noch lange kein Bündnisfall, ein Bündnisfall liegt erst vor, wenn es eine klare Angriffshandlung gibt.

DER BEGRIFF DES ANGRIFFS, DER DEN BÜNDNISFALL AUSLÖST

Breedlove verweist diesbezüglich auf Artikel 5 NAV und dieser Artikel soll hier selbst zu Wort kommen, er lautet wie folgt:


  • "Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird (...)."


     

Alsdann verweist Artikel 5 NAV auf Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen (UN) und diese stuft folgende Begriffe ab:

  1. Bedrohung
  2. Friedensbruch
  3. Angriffshandlung

Wenn Breedlove hier also lautstark "Bündnisfall!", "Angriff" und "zu den Waffen!" ausruft, weil "Grüne Männchen" auf das Staatsgebiet eines NATO-Vertragsstaates eindringen, dann muss dieser Mann von irgendjemandem zurückgepfiffen und aufgeklärt werden, dass hier bestenfalls eine Bedrohungslage vorliegt, nicht aber ein Friedensbruch und schon gar keine Angriffshandlung! Ein Angriff erfordert immer den Einsatz von Waffen, ansonsten ergibt im Kontext der einschlägigen Artikel die Bezeichnung "Selbstverteidigung" keinen Sinn.

Breedlove versucht im Interview also, das "Einsickern" von uniformierten Kräften, die im Zweifel Waffen zur Selbstverteidigung mit sich tragen, unzulässigerweise als Angriffshandlung zu interpretieren. Hierzu haben sich die Vereinten Nationen allerdings auch schon Gedanken gemacht, und zwar intelligentere, als die von Breedlove. Als "Angriffshandlung" im Sinne vorgenannten Artikels 51 der UN-Satzung erkennt die einschlägige UN-Resolution folgendes:

  • Invasion oder Angriff
  • Beschuss oder Bombardierung (Einsatz, bestimmungsmäßiger Gebrauch von Waffen)
  • Blockade eines Staates
  • Angriff der gegenerischen Streitkräfte
  • Entsendung bewaffneter Banden, Freischärler etc., sofern diese mit Waffengewalt Handlungen gegen einen Staat ausführen

    [Resolution 3314 der UN Generalversammlung, 14.12.1974]

Damit dürfte geklärt sein, dass das Einsickern von Kräften in Uniform ohne Hoheitsabzeichen unter Mitführung von Waffen alleine keine Angriffshandlung darstellt, sofern dies nicht quantitativ als Invasion geschieht.

DIE NATO HAT KEIN HOHEITSGEBIET

An dieser Stelle sei ein besonderer Satz Breedlove's betrachtet - er sagt:

  • "Wenn die Nato ausländische Kräfte in ihr Hoheitsgebiet einsickern sieht, (...) dann ist das Artikel fünf. Dann tritt der Bündnisfall ein. Das bedeutet eine militärische Antwort auf die Aktionen dieses Aggressors."

Aufhänger soll zunächst der Begriff "Hoheitsgebiet" sein und zwar in der Zusammensetzung "ihr (!) Hoheitsgebiet" - wessen Hoheitsgebiet? Das der NATO! Mit aller Deutlichkeit sei hier richtiggestellt, dass die NATO eine schnöde, simple Organisation ist und kein Staat, noch nichtmal annähernd! Nur Staaten haben ein Hoheitsgebiet und nur deren verfassungsmäßig dafür bestimmten Kräfte dürfen darüber verfügen. Der Oberbefehlshaber eines Militärbündnisses, staatsrechtlich in keiner Weise legitimiert, ist mit keinerlei Staatsgewalt ausgestattet - er hat sich an Statute, Verträge und Beschlüsse des Sicherheitsrates der UN zu halten. Er ist ein Verrichtungsgehilfe, nichts weiter! Nichts desto weniger scheint Breedlove seine Kompetenzen maßlos zu überschätzen und davon auszugehen, dass das Gebiet der NATO- Bündnispartner gleichsam sein Hoheitsgebiet sei, über das er ohne weiteres verfügen könne. Und gerade die Ungeniertheit, in der er dies daherplaudert, lässt mir persönlich das Blut in den Adern gefrieren.

KEIN AUTOMATISCHER NATO-EINSATZ OHNE VORIGE KONSULTATION 

Es ist bezeichnend, wenn Breedlove darüber hinaus ganz im militärischen Kommandostil daherbetet, welche automatische Abfolge von Konsequenzen die Verletzung "seines" Hoheitsgebietes unweigerlich nach sich ziehe:

  1. Wenn grüne Männchen auf "meinem" Hoheitsgebiet einsickern, dann
  2. ist das als Angriff zu werten und
  3. ergibt dies den Bündnisfall, der mir
  4. endlich die Gelegenheit gibt, Krieg zu spielen!

Davon abgesehen, dass

  • die NATO kein eigenes Staatsgebiet und
  • Breedlove keine Staatsgewalt vorzuweisen hat und dass 
  • Breedloves Verständnis eines Angriffs grüner Männchen kein Angriff im Sinne der UN ist,

ist die NATO noch nichteinmal befugt, ohne vorige Konsultation eines etwaig bedrohten Bündnispartners überhaupt militärisch zu handeln. Dies legt nämlich Artikel 4 des NAV fest:

  • "Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist."

Breedlove ist ein gefährlicher und geltungsbedürftiger Wichtigtuer, der die Vertragsgrundlagen seiner Organisation entweder nicht kennt oder sie bewusst ignoriert. In jeder Hinsicht erweist sich Breedlove in diesem kurzen Abschnitt seines Welt-Interviews als untauglich für die Position, die er innehat und folglich als gemeingefährlich.

Die Welt bescheinigt ihm werbewirksam, er scheue nicht die verbale Konfrontation - ICH frage mich: Wer um Himmels Willen gibt Typen wie Breedlove den Schlüssel für den Waffenschrank und das Oberkommando über Truppen? Der Mann gehört in den Grundkurs "Völkerrecht" und zwar in die Klasse für besonders verhaltensauffällige Offiziere!

Abschließend:

Der Interviewer bescheinigt den "grünen Männchen", dass sie den Umsturz einer Staatsregierung herbeiführen können und führt als Vergleich die Abspaltung der Krim an.

Ich erinnere mich zu dem Stichwort "grüne Männchen" eher an den Maidan zu Beginn des Regierungssturzes in Kiew:

War unser Außenminister Westerwelle, als er auf dem Maidan öffentlich gegen die demokratisch gewählte und damit legitime Regierung Janukovitschs protestierte, auch ein grünes Männchen? Schließlich war er als Außenminister einer der ranghöchsten Staatsvertreter der Bundesrepublik und seine Worte werden die Demonstranten aus diesem Grunde nachhaltig beflügelt haben. War das keine Einmischung in die Angelegenheiten eines souveränen Staates? Freilich nicht mit Waffengewalt, aber kraft Amtes.

Und neben Westerwelle machten ja zig weitere prominente Politiker aus der EU und den USA auf dem Maidan Stimmung gegen die damalige Regierung. Alles kein Problem? Und was ist mit den Scharfschützen, die während der Proteste Menschen erschossen? Was mit den gesichteten Söldnern von Blackwater aus den USA? Was mit den getöteten und verletzten us-amerikanischen Offizieren in der Ukraine? Sind die alle ohne Umsturz-, Manipulations- oder Gestaltungspläne in diesem Land gewesen?

Gegen die schrecklichen Geschehnisse auf dem Maidan und den nunmehr noch schrecklicheren Bürgerkrieg in der Ukraine ist die friedliche, demokratische Annektion der Krim absolut vernachlässigenswert, wenngleich sie auch völkerrechtswidrig sein mag.

Immerhin befindet sich hier Russlands Marinestolz: Die Schwarzmeerflotte. Und der Schwarmeerhafen ist der einzige winterfeste, den Russland zur Verfügung hat und Russlands einziger direkter Seeweg ins Mittelmeer. Insofern ist es ein berechtigtes Anliegen Russlands, zumindest dieses Areal gegen den Westen und "seine" fragwürdigen Gestalten aus Kiew zu sichern.

Und ich bin mir sicher: Auch ein neutraler Beobachter würde sich angesichts der aktuellen Machthaber in Kiew die Frage erlauben, ob der Militärhafen auf der Krim in der Hand Putins nicht allemal beruhigender ist, als derselbe Militärhafen in den Händen der kiewer Faschisten...

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